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Begrenzung der Zwangsversteigerung aus Grundschulden auf die Höhe der Kreditschulden

  • von Peter J. Zwingel
  • 31 Aug., 2018

Zu LG Essen, Urteil vom 09.09.2016, 17 O 6/16 (rechtskräftig - unveröffentlicht):

Wer Schuldner in Zwangsversteigerungen vertritt, kennt das unerfreuliche Spiel: Die Bank betreibt die Zwangsversteigerung wegen offener Kreditforderungen aus einer Finanzierungsgrundschuld, aber nicht etwa in Höhe der Restdarlehensschulden, sondern in der umfangreicheren Höhe der Grundschuld (nebst bis zu 20% p.a. Grundschuldzinsen und oft 5% einmaliger Nebenleistung).

Begründet wird dies regelmäßig damit, dass die Sicherungsgrundschuld im Grundsatz von der zu sichernden Forderung unabhängig („abstrakt“) ist, sodass die dinglich-rechtliche Befugnis von der schuldrechtlichen Berechtigung zur Vollstreckung zu unterscheiden ist: Der Gläubiger ist also grundsätzlich dinglich berechtigt, aus der Sicherungsgrundschuld in voller Höhe zu liquidieren (vgl. dazu BGH NJW 1981, 1505; Böttcher, ZVG, § 114 Rn. 56).

Es gibt Kreditinstitute, die immer noch der Meinung sind, deshalb sei ihnen der Zuvielbetrag auszuzahlen. Wenigstens akzeptieren sie den sich aus der Sicherungsabrede ergebenden Rückgewähranspruch insofern, dass sie verpflichtet sind, eine Zuvielzahlung erst nach einer Abrechnung dem Schuldner auszuzahlen (BGH DNotZ 1993, 112; OLG Köln, Urt. v. 18.12.1996 - 11 U 157/96; Böttcher, ZVG § 114 RN. 57). Dabei hat hier bereits 1997 das Oberlandesgericht (OLG) München klargestellt:

„Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum der Schuldner, der zum Kreis der Berechtigten nach § 9 ZVG gehört und damit das Widerspruchsrecht und die Möglichkeit der Widerspruchsklage hat, nicht gleich durch gerichtliche Entscheidung sicherstellen kann, dass der Erlös unmittelbar aus der Teilungsmasse nur an wirklich Berechtigte gezahlt wird, sondern stattdessen erst nach dem Umweg über einen nichtberechtigten Gläubiger zurückfließen soll.“

(OLG München, Beschluss vom 13.06.1997, 15 W 1506/97, besprochen von RA Peter J. Zwingel in DRpfleger 2000, 437 – 439; Verweis auf den Aufsatz in den Kommentaren zum ZVG von Böttcher, ZVG, § 115 Rn. 10; Dassler-Schiffhauer, § 115 Rn. 10; Stöber, § 115 An. 6.2)

Aber es geht auch noch etwas juristisch genauer, das Landgericht (LG) Essen hat noch
„eins draufgesetzt“:

In dem vom Landgericht Essen mit Urteil vom 29.07.2016 entschiedenen Fall (17 O 6/16) war von dem Versteigerungserlös (Teilungsmasse) in Höhe von 464.256,00 € nach Abzug der Kosten des Verfahrens und öffentlicher Lasten ein Restbetrag in Höhe von 456.826,48 € zuzuteilen. Formal trat er an die Stelle einer zugunsten der O-Bank AG eingetragenen Grundschuld, die mit dem Zuschlag erloschen war. Die O-Bank hatte aber mit Kosten nur noch Restforderungen in Höhe von höchstens 196.147,20 €.

Die Differenz (260.679,28 €) war nach Ansicht der Voreigentümer von der Bank freizugeben. Die Bank wandte wieder ein, dass die Grundschuld abstrakt sei, die Bank also über die Höhe der Restkreditforderung hinaus vollstrecken dürfe. Außerdem verwies sie darauf, dass die Republik T. in die Ansprüche eines der beiden Voreigentümer an ihr gepfändet habe und sie fürchte, sie könne sich schadensersatzpflichtig machen, wenn sie nicht die Auszahlung an sich in ganzer Höhe herbeiführe.

Die Bank hätte anscheinend ohne genauere Prüfung diesen Differenzbetrag von 260.679,28 € an die Republik T. ausbezahlt – der dieses Geld aus verschiedenen Gründen nicht zustand (z.B.: Anspruch gegen nur einen der beiden Voreigentümer; keine wirksame Pfändung mangels Zustellung auch an den zweiten Voreigentümer; Pfändung ohne Überweisung zur Einziehung oder an Zahlung Statt). Es wäre ein Schaden in derselben Höhe für die Voreigentümer geworden – höchstens deren Schadensersatzansprüche zu fürchten hätte die Bank Grund gehabt; sie müßte eigentlich froh sein, durch das Urteil daran gehindert wurde, aus Respekt vor dem Staat durch Weiterleitung an die Republik T. den Schaden herbeizuführen und sich so erst den Klägern gegenüber erstattungspflichtig zu machen.

Das LG Essen hat auf unsere Vollstreckungsgegenklage hin erfreulich deutlich klargestellt:

Den Klägern (Voreigentümern) steht aus der Sicherungsabrede eine Einrede i.S.d. §§ 1169, 1192 BGB, 767 Abs. 1 ZPO gegen die Beklagte (hier die O-Bank) zu, wonach die Beklagte über den noch offenen Betrag des Darlehens von 196.147,20 € hinaus keine weiteren Beträge vollstrecken darf. Sie sind mit der Geltendmachung dieser Einrede nicht gemäß § 767 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen, §§ 794 Abs. 1 Nr. 5, 797 Abs. 4 ZPO.

Der Anspruch auf Rückgewähr des nicht mehr valutierten Teils der Grundschuld gibt dem Grundstückseigentümer eine Einrede i.S.d. §§ 1192, 1169 BGB, durch welche die Geltendmachung der Grundschuld dauernd ausgeschlossen ist (BGH NJW-RR 1990, 588, 589). Nur in Höhe der zugrunde liegenden Forderung darf sich der Gläubiger aus der ihm zur Verfügung stehenden Sicherheit befriedigen (BGH NJW-RR 2003, 45). Daraus folgt eine Einwendung i.S.d. § 767 ZPO, soweit sich der Gläubiger darüber hinaus in voller Höhe der Grundschuld befriedigen will.

Nach diesen Grundsätzen konnten die Kläger von der Beklagten aus der Sicherungsabrede verlangen, dass diese die Zwangsvollstreckung nach Hebung eines Betrags von insgesamt 196.147,20 € einstellt. Denn vorliegend stand der Beklagten unstreitig über diesen Betrag hinaus gegen die Kläger schuldrechtlich kein weiterer Anspruch gem. § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB zu. Damit waren die Verbindlichkeiten aus dem Darlehensvertrag sowie die Rechtsverfolgungskosten der Beklagten abgegolten.

Aus welchen Gründen das Gericht der Ansicht war, dass in dem beschriebenen konkreten Fall die Pfändung und ggf. Überweisung der materiell-rechtlichen Einrede nicht entgegenstand, mag hier dahinstehen, doch sei dem interessierten Leser die Lektüre der Urteilsgründe empfohlen. Dass die Entscheidung richtig war, erkennt man daran, dass die Begründung auch die Beklagte und die ihr beigetretene Streithelferin überzeugte: Weder die O-Bank noch die auf ihrer Seite beigetretene Republik T. sind in die Berufung gegangen. Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Die Entscheidung regelt vordergründig nur eine Erlösverteilung und verhindert, dass an einen Grundschuldgläubiger mehr ausbezahlt wird, als er aus dem Kreditverhältnis beanspruchen und behalten darf. Oberflächlich betrachtet, widerlegt die Entscheidung einmal mehr die Ansicht, die Banken bräuchten erst nach einer Zuvielzahlung abzurechnen und einen Rest auszuzahlen. Aber es geht um viel mehr, diese neue Entscheidung macht durch ihren Sprachgebrauch noch viel mehr deutlich, und das hat Sprengkraft:

Denn viele Banken versichern, sie würden den Rückgewähranspruch vor der Erlösverteilung schon beachten, aber eben erst nach dem Versteigerungstermin zur Vorbereitung der Erlösverteilung die ihnen zustehende konkrete Restschuld berechnen; bis dahin aber seien sie berechtigt, das Versteigerungsverfahren aus dem höheren Betrag der abstrakten Grundschuld statt dem niedrigeren Betrag der konkreten Darlehensrestschuld zu betreiben. Sie argumentieren für eine Herabsetzung des geforderten Betrages erst zum Verteilungstermin ebenso wie die oben genannten Banken für die Auszahlung und nachträgliche Abrechnung und Auszahlung einer Zuvielzahlung.

Aber das Landgericht Essen sprach nicht erst von der Erlösverteilung: Es sprach von der Vollstreckung. Es sprach von einer Einrede gegen eine Zuvielforderung, und die besteht ab dem Zeitpunkt der Zuvielforderung. Mit anderen Worten: Schon ab Erteilung eines vollstreckbaren  Titels - erst recht nach Anordnung einer Forderungsversteigerung - kann der Versteigerungsschuldner bis zur Verkündung eines Zuschlags eine Vollstreckungsgegenklage gegen die Zwangsvollstreckung einlegen und erreichen, dass  diese nur in der Restkredithöhe aus der Grundschuld betrieben und im übrigen aufgehoben wird.

Und nach einem Widerspruch in einemVerteilungstermin kann der Schuldner der Grundschuldwie hier bei der Entscheidung des LG Essen über die Verweisvorschrift § 115 Abs. 3 ZVG erreichen, dass die Zuteilung an die Bank auf die Restkredithöhe beschränkt wird; das gilt auch dann, wenn die Bank nicht die Zwangsversteigerung selbst betreibt, sondern zum Beispiel in einem Teilungsversteigerungsverfahren nur deshalb eine Zuteilung erhalten würde, weil dies das Gesetz ohne Rücksicht auf die Höhe der besicherten Darlehensforderung vorsieht.

Warum ist das wichtig? Es ist enorm wichtig: Eine einstweilige Einstellung des Versteigerungsverfahrens durch Zahlung der Forderung, aus der die Versteigerung betrieben wird, kann der Schuldner oder sonstiger Berechtigter nur herbeiführen, wenn er den Betrag finanzieren kann. Um mit den Zahlen aus dem Fall des LG Essen zu argumentieren: Es macht eben einen Unterschied, ob ich „nur“ 196.147,20 € oder gar 456.826,48 € aufbringen muss.

Es ist wichtig, weil der Schuldner einen Anspruch auf Abtretung des nachrangigen Teils der Grundschuld hat (260.679,28 €), über ihn verfügen kann, ihn nutzen kann. Wie er dies macht, kann Auswirkungen auf das Verlangen von Bietersicherheit, auf die Handhabung der Zuschlagsversagung wegen Nichterreichens der Sieben-Zehntel-Grenze, auf die Verfügung über den nachrangigen belastbaren Teil im Grundbuch und damit zur Kreditbeschaffung und vieles mehr haben. Und nicht zuletzt auf die Verteilung des Erlöses wie in dem Fall, den das LG Essen entschieden hat.

Es wäre zu wünschen und ist zu fordern, dass die Banken dazu übergehen werden, die Zwangsversteigerungsverfahren aus den Grundschulden nur noch in Höhe der Restdarlehenshöhe und künftiger Zinsen zu beantragen (die Kosten braucht sie nicht hineinzurechnen, die gewährt der Gesetzgeber gesondert).

Für mich ist dies ein Qualitätsmerkmal für Banken, wie sie sich im Versteigerungsfall verhalten: Nur wenn sie bloß das fordern, was ihnen aus dem Darlehensvertrag vom Kreditnehmer zusteht – und nicht mehr – entspricht die Bank den Fürsorge- und Treuepflichten, die sie aus dem Sicherungsvertrag als Treuhänder der Grundschuld übernommen hat. Es darf eigentlich nicht sein, dass sich der Bankkunde, der vertrauensvoll der Bank seiner Wahl eine Grundschuld und damit einen erheblichen Vermögensgegenstand überlassen hat, sich aktiv mit einer Einrede erst zur Wehr setzen muss, um nicht damit rechnen zu müssen, wegen seiner Vertrauensseligkeit über den Tisch gezogen zu werden.

Erfreulich ist, dass bei der einen oder anderen Bank hin und wieder sich dieses korrekte Verhalten gezeigt hat und in Einzelfällen bei anderen Instituten. Dieses korrekte Verhalten muss Standard, muss selbstverständlich werden.

Davon aber sind wir noch weit weg, die Entscheidung des LG Essen kann helfen, dorthin zu kommen.

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Jetzt ist es schon eine Zeitlang her, dass die Kanzlei-Website neu gestaltet wurde. Als neues Element war der Blog vorgesehen. Endlich will ich mir die  Zeit nehmen, ihn hiermit dazu nutzen, Pagestreet, den Erstellern der Website zu danken.
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